Juristische Perspektive
auf den Religionsunterricht
In Deutschland steht das schulische Bildungswesen durchgehend unter staatlicher Aufsicht. Es ist der Staat, der die Inhalte der Fächer sowie die Unterrichtsfächer selbst definiert. Nur in Bezug auf den Religionsunterricht hat sich der Staat aus freien Stücken zum einen entschlossen, seine Existenz an der Schule den aktuellen Bildungsdiskursen zu entziehen, indem er im Grundgesetz festgelegt hat, dass es dieses Fach geben muss. Abschaffen ließe es sich nur per Grundgesetzänderung. Diese gesetzliche Verortung des RU bedeutet auch: Die Nicht-Erteilung von Religionsunterricht an einer Schule entzieht Schüler*innen ein grundgesetzlich garantiertes Grundrecht, nämlich das auf religiöse Bildung.
Zum anderen hat der Staat die Verantwortung der Inhalte dieses Faches an von ihm förmlich anerkannte Religionsgemeinschaften übertragen. Vielfach wird die Existenz des Faches Religion an Schule als eine Form einer nicht (mehr) nachvollziehbaren Einmischung von Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften in schulische Bildung diskutiert. Solche Diskussionen beruhen auf einem Missverständnis: Es sind nicht die Religionsgemeinschaften, die sich in Schule hineindrängen. Vielmehr ist es der Staat, der sich von der Verantwortung der Inhalte dieses Faches zurückzieht und sich Partner sucht, die diese Inhalte verantworten.
- Warum nimmt sich der Staat in Bezug auf dieses Fach selbst so viel Macht?
Religionsunterricht soll nach staatlichem Willen ein Raum sein, in dem Schüler*innen religiösen Wahrheitsansprüchen begegnen. Und genau diese Begegnung zu inszenieren, würde die staatliche Verpflichtung zur Neutralität im Bereich der Religion verletzen.
- Wie gestalten die Religionsgemeinschaften ihre Verantwortung für die Inhalte dieses Faches?
Für diese Gestaltung haben sich in Deutschland im Wesentlichen drei Instrumente etabliert:
- Die Rahmenpläne für Religionsunterricht werden nur aufgrund einer Zustimmung der jeweiligen Religionsgemeinschaft in Geltung gesetzt. Teilweise werden die Rahmenpläne von den Religionsgemeinschaften auch selbst geschrieben bzw. in kooperativen Prozessen entworfen.
- Staatliche und kirchliche Seite haben sich verbindliche Entscheidungsgremien geschaffen, in denen sie ihre geteilte Verantwortung – der Staat für die Organisation des Rahmens, die Kirchen für die Inhalte – gemeinsam gestalten. In vielen Bundesländern werden diese Gremien als „Gemischte Kommissionen“ bezeichnet.
- Das dritte Instrument der Verantwortungsgestaltung ist die Vokation: Der Staat will, dass Schüler*innen im Religionsunterricht religiösen Wahrheitsansprüchen begegnen. Eine solche Begegnung geschieht im Bereich von Religion im Wesentlichen personal: Es ist die Person der Lehrkraft, die (ihr Verständnis der) Wahrheit im Bereich von Religion im Unterricht präsentiert und repräsentiert.
- Aber wie kann und soll festgestellt werden, ob eine Lehrkraft genau diesen Auftrag erfüllt?
Genau an dieser Stelle gewinnt die Vokation ihre Funktion: Die Kirchen beauftragen die Lehrkräfte und machen sich so auskunftsfähig gegenüber dem Staat.
Und weil im Rahmen einer evangelischen Kirche die Verantwortung für das eigene Glauben undeligierbar jedem einzelnen Christenmenschen übertragen ist, sind die von der Nordkirche definierten Voraussetzungen für die Erteilung der Vokation sehr formal: im Prinzip geht es um Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche und religionspädagogische Fachlichkeit, nicht aber um ein bestimmtes Glaubensverständnis und Beteiligungsverhalten an den Lebensformen evangelischer Kirche.